Wer nicht schwimmt, geht unter: So lähmt das Operative die Zukunftsfähigkeit
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Es gibt einen Satz, der mich seit einiger Zeit begleitet: „Du musst dich bewegen, damit du nicht untergehst.“ Er beschreibt perfekt, warum Veränderung nicht nur ein „Nice-to-have“ ist, sondern eine Überlebensstrategie – für Menschen wie für Unternehmen. Man kann es mit dem Schwimmenlernen vergleichen: Bewegst du dich nicht, gehst du unter.
Bewegung als Prinzip – auch im Unternehmen
Unternehmen, die sich auf ihr Operatives fixieren, ohne zu reflektieren, ob sie noch in die richtige Richtung schwimmen, laufen Gefahr, sich selbst im Weg zu stehen. Natürlich ist das Tagesgeschäft wichtig – es hält das Geschäft am Laufen. Aber wenn es zur einzigen Priorität wird, bleibt keine Zeit mehr, innezuhalten und zu überprüfen, ob die Richtung noch stimmt.
Die Energie, die wir für ständiges „Busy-sein“ aufwenden, bleibt dann oft eine Verschwendung. Wir drehen uns im Kreis, rennen dabei schneller und schneller auf der Stelle, und fühlen uns wie unter Wasser: keine Luft zum Atmen.
Das Beispiel einer Retrospektive
Vor einigen Jahren war ich als Agile Coach tätig und arbeitete mit einem Team, das mitten in einem stressigen Projekt steckte. Es war Zeit für die regelmäßige Retrospektive, doch ein Teammitglied verzog das Gesicht und fragte: „Können wir die heute nicht ausfallen lassen? Ich habe so viel zu tun.“
Meine Antwort: „Gerade deshalb machen wir die Retro!“
Wir nahmen uns die Zeit, setzten uns zusammen und besprachen die Situation. Es stellte sich schnell heraus, dass der Druck auf dieses Teammitglied immens war. Unser Arbeitsmodus – Kanban – hatte eine unerwartete Nebenwirkung: Immer wenn eine Aufgabe fertig war, kamen direkt zehn neue auf die Liste. Es gab keine Momente des Feierns, keinen Raum, um die eigenen Erfolge wahrzunehmen. Der Zustand: ein Gefühl, nie fertig zu werden.
Das Team beschloss gemeinsam, den Arbeitsmodus zu ändern. Und das Ergebnis? Der Druck ließ merklich nach. Und es war nicht nur die strukturelle Veränderung, die geholfen hat. Bereits die ehrliche, wertschätzende Diskussion über die Herausforderungen brachte eine Entlastung. Sie war eine Intervention an sich.
Das Hamsterrad fühlt sich wie Fortschritt an – ein verbreitetes Muster in Unternehmen
Diese Verhaltensmuster begegnen mir immer wieder – unabhängig von der Größe des Unternehmens oder der Hierarchie. Und ehrlich gesagt, ich kenne sie auch von mir selbst. Wir sind darauf sozialisiert, dass ständiges Tun gleichbedeutend mit Arbeit ist. Und Arbeit ist Anerkennung, Status. Stillstand hingegen wirkt wie Faulheit.
Typische Aussagen, die dieses Muster spiegeln
- „Wir können uns das nicht leisten, wir haben zu viel zu tun!“
- „Das klären wir, wenn es ruhiger wird.“ (Spoiler: Es wird nie ruhiger.)
- „Wir haben für solche Diskussionen keine Zeit, die Arbeit wartet.“
- „Ich weiß, dass das wichtig ist, aber wir müssen Prioritäten setzen.“
„Wenn ich nichts vorzuweisen habe, sieht es so aus, als hätte ich nichts gemacht.“
Die These dahinter
Wir verwechseln Beschäftigung, das Paddeln mit den Händen und Füßen, mit Produktivität. Das Hamsterrad fühlt sich aktiv und sinnvoll an, weil wir ständig etwas zu tun haben. Dabei sehen wir oft nicht, dass wir uns nur drehen, ohne vorwärtszukommen. Wer innehält, scheint aus dieser Logik heraus ineffizient.
Diese Denkmuster haben wir verinnerlicht – und es braucht bewusste Interventionen, um sie zu durchbrechen. Denn echtes Arbeiten heißt nicht, immer weiterzumachen, sondern die Richtung zu prüfen und gegebenenfalls den Kurs zu korrigieren.
„Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu belassen und zu hoffen, dass sich etwas ändert.“ sagte einst Albert Einstein. Und genau hier liegt die Krux: Unternehmen brauchen regelmäßige Pausen, um zu reflektieren. Eine Retrospektive, ein Strategie-Workshop oder ein Meeting, das sich nicht ums Operative dreht, mag auf den ersten Blick wie ein Luxus wirken. Doch es ist essenziell, um sicherzustellen, dass die Arbeit nicht nur effizient, sondern auch sinnvoll ist.
Vom Schwimmen zum Zielen
Die Kunst liegt darin, sich nicht von der Strömung des Alltags mitreißen zu lassen, sondern bewusst Pausen einzulegen, um die Richtung zu prüfen. Es ist, wie wenn man schwimmen lernt: Die Bewegung hält dich oben. Aber irgendwann musst du den Kopf heben, um zu sehen, wohin du eigentlich willst.
Impulse für den Alltag
- Planung für Reflexion einbauen: Blockiert Zeiten im Kalender, die nicht verhandelbar sind – sei es für Retrospektiven, Feedbackrunden oder strategische Überlegungen. Oder einfach nur Zeit zum Nachdenken.
- Erfolge feiern: Kleine wie große Erfolge verdienen Anerkennung. Sie geben Energie und schaffen ein Gefühl des Abschlusses.
- Fokus auf die Qualität der Zusammenarbeit: Oft liegt der Schlüssel zur Verbesserung nicht im „Was“, sondern im „Wie“ der Zusammenarbeit.
Fazit: Unternehmen müssen lernen, zu schwimmen
Nur wer sich bewegt, lernt. Nur wer innehält, erkennt die richtige Richtung. Wenn Unternehmen Veränderung scheuen und stattdessen im Operativen verharren, setzen sie sich selbst unnötig unter Druck. Es ist Zeit, diese Denkweise zu hinterfragen.
Denn Veränderung beginnt nicht in der Zukunft – sie beginnt jetzt.
Denn Veränderung beginnt nicht in der Zukunft – sie beginnt jetzt.